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Die Waisenkinder von Bethanien

Marylene Schultz
mit einem Vorwort von Arnold Hottinger,
2003, 9,90 € + Versand --> Onlinebestellung 1; Onlinebestellung 2

Aus dem Inhalt:
Den Bulldozern trotzen

Ich sitze außerhalb unseres Dorfes in der prallen Frühlingssonne auf einem Felsen, ringsum blühen rote Anemonen, aus jedem Felsspalt grüßen gelbe und weiße Blümchen. Weiter unten grast eine Schafherde. Uns wird Tee gebracht und er schmeckt gut. Es ist Gründonnerstag, morgens. Ich hätte eigentlich Dienst im Kinderkrankenhaus, aber eine Mitarbeiterin verzichtet auf ihre freien Stunden und ersetzt mich. Daran habe ich mich jetzt gewöhnt, dass immer jemand einspringt, wenn plötzlich ein Telefonanruf kommt, der mich hierher an den Rand der Wüste bestellt.

Das idyllische Bild, das ich vorher beschrieb, ist nur ein Teil dessen, was das Auge sieht. Ringsherum ist die Landschaft im Umbruch, in einer enormen Umwandlung. Aus fast allen der runden, felsigen Hügel hier sind planierte Terrassen geworden. Breite Bänder verbinden sie und lassen ein großzügiges Straßennetz erkennen. Ich nütze die Zeit zum Schreiben, weil eine Unterhaltung unmöglich ist; etliche Meter hinter unserem Rücken arbeitet ein Bulldozer mit viel Getöse.

Abu Slieman, ein älterer Beduine, hatte sich heute Morgen vor den Bulldozer gestellt, als dieser einem der Zelte zu nahe kam. Der Fahrer, ein Israeli, hatte geschimpft, er solle bloß nicht glauben, er könne ihn an der Arbeit hindern. Auch die Drohung, er würde zehn Jahre Gefängnis bekommen, brachten den Beduinen nicht dazu, den Fels, auf dem er stand, zu verlassen. Mit seinem Mobiltelefon versucht Abu Slieman, israelische Freunde zu erreichen, aber jetzt in der jüdischen Osterwoche, sind viele in den Ferien.

Ich schreibe nicht nur wegen des Baulärms, sondern auch, um die Spannung besser zu ertragen.

Abu Slieman gehört zum Stamm der Jahalin- Salamat- Beduinen. Dieser lebte ursprünglich in der Wüste Negev in der Gegend, wo heute die israelische Stadt Arad liegt. Nach der israelischen Staatsgründung 1948 wurden die Beduinen gezwungen, ihr Wohn- und Weidegebiet zu verlassen, um sich weiter nördlich, nahe der jordanischen Grenze, niederzulassen, und ein paar Jahre später wurden sie ermutigt, die Grenze nach Jordanien zu überschreiten. So kamen sie auf damals jordanisches Staatsgebiet östlich von Jerusalem, in der Gegend von Abu Dis und Bethanien, und schlugen dort in den Talsohlen ihre Zelte auf. Das Weidegebiet ihrer Herden reichte fast bis zum Toten Meer hinunter.

Nach dem Sechs- Tage- Krieg kam dieses Gebiet unter die Verwaltung der israelischen Militärbehörde. Diese erklärte viele Hügel und Täler zu Militär- oder Industriegebiet, was das Weide- und Wohngebiet der Beduinen stark einschränkte. Ende der siebziger Jahre begann man mit dem Bau einer jüdischen Siedlung, Maale Adummim, für die etliche Beduinenzelte Platz machen mussten. Jetzt vergrößert sich die Stadt zusehends. Hügel werden abgetragen, Niederungen aufgefüllt, neue Straßen gebaut.

Im August 1993 entschlossen sich die Jahalins, juristische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Sie wollten einer neuen Vertreibung zuvorkommen; die Bulldozer waren eineigen Zelten bereits gefährlich nahe gekommen. Die Militärbehörde bot ihnen einen Hügel weiter südlich an, der sich jedoch nicht als Wohnort eignet. Er grenzt an die Jerusalemer Mülldeponie, und der Boden ist zu felsig, um Zelte darauf zu stellen. Zudem gehört er Palästinensern aus Abu Dis, und die sind nicht damit einverstanden, dass die Militärbehörde über ihr Eigentum verfügt. Die Beduinen wollen auch nicht enteignetes Land beanspruchen, denn das brächte sie in den Konflikt mit den Besitzern.

Im Oktober 1993 haben israelische Friedensaktivisten, Palästinenser und hier ansässige Ausländer ein Unterstützungskomitee gebildet und versuchen nun, gebeinsam mit den Beduinen durch Aufrufe, Demonstrationen und Petitionen auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Die Jahalins haben einen Vorschlag gemacht, nämlich auf Staatsland an der Dorfgrenze von Bethanien zu ziehen; diese Lösung wurde jedoch von der Militärbehörde abgelehnt.

2.Mai 1994. Die Blumen sind in der großen Hitze, die in den letzten Wochen über dem Land lag, verdorrt, aber die Beduinenzelte stehen noch. So glimmt ein Hoffnungsschimmer weiter. Die Hoffnung nämlich, dass wir es gemeinsam schaffen werden, den Jahalins zu ihrem Recht zu verhelfen, trotz aller Weisen und Spötter, die behaupten, dass doch immer das Recht des Stärkeren siegt.

Am vergangenen Gründonnerstag hat der Bulldozer seien Arbeit eingestellt, wohl weil der Verantwortliche merkte, dass es uns telefonisch gelungen war, Verbindung mit Leuten vom Unterstützerkomitee und mit Journalisten aufzunehmen. Dies war nicht das erste Mal, dass das Vordringen des Bulldozers so gestoppt wurde. Einmal hatte sich Linda Brayer, eine israelische Rechtsanwältin, vor den Bulldozer gesetzt und sich von der Polizei forttragen lassen.

Die Frage ist: Wer wird zuerst aufgeben?
Drei Demonstrationen hatte es gegeben, mit welch buntem Menschen- Gemisch! Das hatte keiner gefragt: Was bist du? Israeli oder Palästinenser? Religiöser oder Kommunist? Beduine oder Neueinwanderer? Yousef, einer der Beduinen hatte gesagt: „Ich finde es schlimm, dass wir eure Hilfe so oft und so viel in Anspruch nehmen müssen, aber auch schön und bereichern, dass wir Anlass für so viele Menschlichen Kontakte geben, über alle nationalen, kulturellen und religiösen Grenzen hinweg.“ Vielleicht haben wir nur dies eine gemeinsam: den Mut, das Recht des Stärkeren in Frage zu stellen.