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10. 9. 2007

Monatsbericht September 2007

Liebe Freunde und Verwandte, liebe Interessierte,

immer mehr Zeit vergeht zwischen meinen Rundbriefen, nun sind es fast schon drei Monate seit meinem letzten Schreiben. Das liegt nicht daran, dass nichts mehr passiert, sondern vielmehr daran, dass es mir immer schwerer fällt, das in Worte zu fassen. Der Sommer neigt sich hier im Lande langsam dem Ende zu, während der Hitze haben wir einiges angefangen, einiges bewegt und auch erreicht.

Meine Zeit hier geht langsam dem Ende zu. Mit sehr gemischten Gefühlen sehe ich meiner Abreise entgegen. Jerusalem, die Arbeit mit den Jahalin, meine Freunde, das arabische, jüdische und dazwischen das westliche Leben ist zu etwas Alltäglichem geworden, es füllt sich ein bisschen wie Heimat an.

Durch die Arbeit auf dem Hügel, dem UNRWA- Projekt im Juni mit den jungen Männern und dem Sommercamp im August hat sich mein Verhältnis vor allem zu den Jungs der Jahalin- Beduinen verändert. Wir arbeiteten zusammen, Absprachen mussten getroffen und Zeiten eingehalten werden. Das war für uns alle nicht immer einfach, doch schließlich entstanden gerade dadurch gute Freundschaften. Das war eine schöne Erfahrung.

Das Sommercamp

Für drei Monate verabschieden sich die Kinder palästinensischer Schulen in die Ferien. Die meisten von ihnen verbringen die Ferien zuhause, einige gehen arbeiten, wuseln sich auf der Suche nach verwertbaren Eisenteilen durch die benachbarte Müllhalden, für ein Kilo gibt es bei Hisham Abu Achmed, dem Schrottplatzbesitzer, umgerechnet 10 Cent. Andere gehen in die Garagen, waschen Autos, schleppen im Supermarkt die Obstkisten oder putzen sich in der Nacht durch die Treppenhäuser der israelischen Siedlung Maale Adumim.

Suleiman, einer der 17 Jahre alten Jungs der Jahalin, mit dem ich Englischunterricht mache, geht während der Ferien nun sechs Mal in der Woche nach Maale Adumim, um Nacht für Nacht die Treppen der Mehrfamilienhäuser zu wischen. Der Vater, Abu Suleiman, arbeitet auch in der Siedlung, doch das Geld reicht nicht aus, um das im Bau stehende Steinhaus nun endlich auch von innen zu verputzen. Dafür geht Suleiman jetzt jede Nacht durch die palästinensische Stadt Azaryah hinaus zum Checkpoint Maale Adumim. Er hat eine Arbeitserlaubnis von den Israelis. „Letztendlich entscheiden jedoch die Soldaten am Checkpoint, ob ich rein darf oder nicht. Wenn es keine Probleme gibt, gehe ich dann zu den Häusern, wo ich putzen soll und fange an. In jedem Haus gibt es einen Hausmeister, mit dem ich vereinbare, wann ich zum Putzen kommen soll".

„Ich freue mich auf die Schule, da lerne ich was fürs Leben", das sagte mir Suleiman, als ich ihn vor einigen Tagen um sieben Uhr Morgens auf dem Rückweg von der Arbeit in Azaryah traf.

Vor vier Jahren gab es auf dem Hügel der Jahalin- Gemeinde das erste Sommercamp für Mädchen. Anna organisierte seitdem die Sommercamps mit Volontären vom Hügel und aus dem Ausland. Letztes Jahr gab es nun das erste Sommercamp auch für die Jungs. Es kam durch meinen Vorgänger Jonas Calabrese zustande, unterstützt von jungen Beduinen wie Suleiman. Nun hieß es, dieses erfolgreiche Projekt weiterzuführen.

Als die Vorbereitungen begannen, waren die Volontäre schnell gefunden. Suleiman erklärte sich trotz seiner Arbeitbereit mitzumachen. Er wollte für die Spiele „maa race" (arab. mit dem Kopf) zuständig sein. Sackaria und Junis, die aufgrund der Arbeitslosigkeit ihrer Väter mit 14 Jahren die Schule verlassen mussten, war wie auch Iyyad und Heni, die gerade ihre Abiturprüfungen machten, beim Sommercamp als Verantwortliche dabei. Außer ihnen war auch noch der bis jetzt noch einzige männliche Student der Jahalin, Hassan bereit, in den vier bevorstehenden Wochen in dem Team der Volontäre mitzuarbeiten. Später sollten auch noch Abeed, ein beduinischer Karatetrainer, zwei amerikanische Volontäre, Grand und George und unser nigerianische Fußballtrainer Jonathan dazukommen.

Mit dieser Gruppe begann nun Anfang Juli die Planung für die vier Wochen Sommercamp auf dem Schulgelände und dem Fußballplatz des Hügels der Jahalin.

Am ersten Tag des Sommercamp kamen wir schließlich in der Frühe zusammen, um die orangenen Fahnen zu hissen, die Sonnendächer aufzuspannen und die Teppiche auszulegen. Ich war aufgeregt denn noch nie hatte ich ein Programm für so viele Kinder gemacht Würde es wohl funktionieren, Völkerball und Basketball auf einem Platz zu spielen? Klappt es mir der Reise nach Jerusalem? Sind die Farben gerichtet? Kommen alle Volontäre? Einiges beunruhigte mich noch, als die Kinder kamen. Doch um neun Uhr waren wir dann „ilhamduilla" (arab. „Gott sei Dank") versammelt. Alle saßen sie gespannt da, stolz in den Hemden des Sommercamps und unter den grünen Kappen hervorblickend. Hassan hieß die Kinder willkommen, er sprach von den bevorstehenden vier Wochen, die wir gemeinsam verbringen würden. Die Gruppen wurden aufgeteilt und es wurde auf dem Fußballplatz mir dem Ball gedribbelt und geworfen, während auf dem Schulgelände die Reise nach Jerusalem stattfand. Später gab es dann ein Frühstück mit Limonade und einer leckeren Falafel, gefüllt mit Ziegenkäse, Humus, Tomaten und Gurken. Es war eine schöne Atmosphäre, die Kinder genossen das Beisammensein. Nach dieser Stärkung hieß es, die Pinsel zu schwingen.

Die Außenwand des Fußballplatzes wurde bemalt, es entstand eine Wüstenlandschaft mit Dünen aus braun- gelben Farbtönen, ein Dorf aus verschachtelten Häusern, überragt durch das strahlende Gelb der Kuppel einer Mosche. Die Kinder folgten den vorgegebenen Linien, füllten die Kamele mit Farbe, ließen einen Fluss aus dunklem Blau entstehen und ließen die Vögel fliegen. Plötzlich stand dann ein Auto auf einer der Dünen, die Kinder begannen die Gestaltung in ihre Hand zu nehmen. Währendessen trugen die jüngeren Kinder dicke Farbe auf die ausgedienten Reifen des benachbarten Schrottplatzes auf, schnell waren Muster erfunden, während sich die Farbe durch das ständige Vermischen immer mehr vereinheitlichte. Wir saßen zusammen mit den Kindern, genossen das konzentrierte Arbeiten inmitten des Gewühles.

Überschattet jedoch wurden alle diese schönen Ereignisse und unser Zusammensein gleich am ersten Tag unseres Sommercamps mit den Jungs.

Uns erreichte die Nachricht, dass ein 16jähriger Jahalin Junge einen tödlichen Unfall auf einer der umliegenden Recycling-Plätze hatte.

Fassungslosigkeit, Verzweiflung und Trauer senkte sich über den Hügel. Die Menschen trauerten, kamen zum Haus der Eltern und gedachten des Jungen.

Nach einer knappen Woche hatten wir dann die Möglichkeit - nach Übereinstimmung und Zustimmung des Jahalin-Komitees - das Sommercamp fortzusetzen.

Der erste Tag danach begannen wir dann in Gedenken an den verstorbenen Jahalin Jungen.

Die verbliebenen Wochen Sommercamp mit vollem Programm folgten. Sechs Teams wurden gebildet, die in den darauf folgenden Wochen gegeneinander spielten, rannten, am Seil zogen, Wasser von einen zur anderen Seite trugen und miteinander feierten. Jedes Team hatte einen Namen und ein Fahnenlogo, Drachen, Adler und Sonnen prangerten am Zaun des Platzes. Nach dem Sport bastelte Suleiman und George mit den Jungs Drachen, aus dicken Holzstangen und dünnen Fäden entstanden mithilfe von Luftballons als Klangkörper dumpf klingend „Bumbässe", aus leeren Kombüchsen vom Schrottplatz wurden Trommeln. Schön war zu sehen, wie die Kinder strahlten, als sie den Gebilden aus Abfällen plötzlich Klänge entlocken konnten.

Hassan gab Unterricht im Zeichnen und Geschichte, Marylene spielte mit den Kindern „Memori" und „Mensch ärger dich nicht" in angespannte Ruhe und Abeed forderte die Jungs beim Karate zu Disziplin. Es folgten Musikstunden mit Häni, dessen Hände über die Trommel wirbelten, freiem Malen mit Iyyat und auch einer kleinen Zirkusshow befreundeter israelische Zirkusartisten.

Ein Höhepunkt war der Besuch des Sommercamps aus Bethlehem. Die NGO CCRR (Center for Conflict Resolution & Reconciliation) organisierte in Bethlehem zwei Wochen lang Sommeraktivitäten unter dem Thema „Know you Country". Sie besuchten in Nablus eine Seifenfabrik, in Jenin ein Theaterprojekt, restaurierten ein Brunnen in Ramallah und wollten auch die Jahalin- Beduinen in Azaryah kennen lernen. Mit einem Bus kamen sie auf den Hügel angerollt, im Gepäck große Neugier und viele Fragen.

Einige Männer des Jahalin- Komitees waren gekommen, einige im traditionellen Gewand um den Tross aus Bethlehem willkommen zu heißen. Im großen Kreisen ließen wir uns nieder, nach der Begrüßung fassten die Jungs aus Bethlehem ihren Mut und stellten ihre Fragen: „Sind die Jahalin- Beduinen Palästinenser?"; „Was bedeutet der Name Jahalin?"; „Woher kommen sie ursprünglich?"; „Warum leben sie auf diesen Hügel und nicht in der Stadt?".

Musa, einem Mitglied des Jahalin Sport-Komitees, kann wunderbar Geschichten erzählen. Er erklärte sich bereit den Kindern aus Bethlehem über die Jahalin zu berichten und so beantwortete er schließlich jede einzelne Frage und die Kinder lauschten gespannt. Er erzählte von seinem Vater, der in der Negev- Wüste, nahe Tel Arat geboren wurde und als Kind das Vieh von den Frühjahrs- zu den Sommer- und Winterweiden trieb, je nachdem, wo die Herden ihre karge Nahrung fanden. Als Wüstenvolk war ihre wirtschaftliche Grundlage der Bestand des Viehs und der Verkauf der Milcherzeugnisse. Für das Vieh am geeignesten waren die kräftigen Hochlandweiden mit ihrem starken, nahrhaften Dorngestrüpp. Von dieser Beschäftigung lebten die Beduinen; und sie wiederum formte ihr Leben und bestimmte das Gebiet der einzelnen Stämme und hielt sie auf steter Wanderung. In den fünfziger Jahren mussten sie ihr Gebiet verlassen, zwei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung Israels. Die Armee vertrieb sie, Pioniere folgten, die ein „menschenleeres Land fruchtbar machten und sich ansiedelten". Die Jahalin zogen in die Nähe Jerusalems, siedelten sich nieder auf den sieben Hügeln, die genug Wasser für den Stamm der Jahalin lieferten. Die Hügel „Um Rasas", heute nennt Israel dieses Land Maale Adumim. Vieles hat sich seit dieser Zeit verändert. Dort wo früher die Jahalin mit ihren Schafen lebten, wo kein Fahrzeug fahren konnte, stehen heute große Häuserblocks, ziehen sich Straßen kilometerweit durch die Landschaft. Vor zehn Jahren waren sie wieder gezwungen, alles aufzugeben und wurden auf Steinhügel nahe Azaryah angesiedelt.

Für beide Gruppen, die an diesem Vormittag zusammenkamen, war es wichtiges Erlebnis. Es wurde bewusst, wie wenig man doch voneinander weiß, wie sehr man in völlig unterschiedlichen Gesellschaften verwurzelt ist, auch wenn man nicht entfernt voneinander lebt.

Schließlich gab es noch ein Fußballturnier, wurde ein großes Banner bemalt, ausgelassen zur Musik getanzt und zu allerletzt auch noch festlich gegessen. Die Frauen bereiteten für 250 hungrige Mägen das Essen vor, schnibbelten sich an dem Salat die Finger wund, machten herrlichen Reis mit Nüssen und leckrem Labane. Vielen Dank für dieses köstliche Mahl!

Abgeschlossen wurde das Sommercamp mit einem Besuch im Schwimmbad in Ramallah. Fünf Stunden verbrachten wir im Wasser, es war ein gutes Ende, mit viel geschlucktem Wasser, Köpern und geplanschte.

Reisen

Nach dem Sommercamp hieß es für mich Urlaub machen im Sinai, an der Küste des Roten Meeres in Dahab. Mit meinem Mitbewohner Martin ging es los zur ägyptischen Grenze, Briefmarken wurden uns in den Pass gestanzt. Es konnte losgehen. Durch die Wüste Sinais ging es mit einem kleinen VW-Bus, arabische Musik begleitete uns in den rasend vorbeiziehenden Kurven und Schräglagen, der Zigarettenrauch tanzte dazu durch die Luft. Die Landschaft, die sich vor uns auftat, war beeindruckend. Schroffe Bergungetüme aus dunklem Sandstein, eine Wüstenlandschaft mit vielen Gesichtern, die mit dem Sonnenstand entstehen und vergehen. Entlang des Küstenstreifens waren hunderte von Hotelanlagen zu sehen, viele im Bau, viele wieder im Verfall und wenige im Betrieb. Die ägyptische Regierung versucht mit großen Subventionen ihre Bürger in den Sinai zu locken. Ein Plan, um der Bevölkerungsexplosion etwas entgegenzusetzen und den Sinai für immer zum ägyptischen Territorium zu machen. Stark benachteiligt von diesem Prozess sind die ursprünglichen Bewohner dieses Landes, die einzigen, die in dieser Umgebung leben konnten, die Beduinen. Von ihrem ursprünglichen Land vertrieben, verkommt ihre traditionelle Lebensweise immer mehr zur Touristenattraktion. An ihren Plätzen entstehen heute neue, völlig unnatürliche Städte. Eine dieser Städte ist Dahab, gebaut entlang des schönsten Korallenriffe. Täglich ging ich schnorcheln, erlebte eine unglaubliche Unterwelt. Es war ein bisschen wie baden im Aquarium mit Fischen in allen Formen und Farben. Ein schöner Urlaub.

Noch 6 Wochen stehen mir in Jerusalem bevor. Mitte Oktober werde ich voraussichtlich auf deutschem Boden landen. Bis dahin werde ich mich noch mal mit einem Bericht bei euch melden. Der Abschlussbericht wie auch eine kleine Präsentation meines Jahres in Jerusalem kommt dann wieder aus Köln.

Ich wünsche euch bis dahin einen schönen Herbstbeginn und alles Gute,
aus Jerusalem euer Hendrik Dürr

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