Das Camp

  Aktuelles
  Archiv
  Das Projekt
  Die Jahalin
  Literatur
 Unterstützung
  Links
  Kontakt
  

Berichte

Spenden, damit der Ballen ins Rollen kommt!
Der Spendenaufruf für den Sportplatz als pdf

 

26.11.2007

"Ich gehe nie mehr zu den Jahalin" ...

hatte ich einmal an Freunde geschrieben, nachdem ich verstaubt, verschwitzt und vor allem enttäuscht und frustriert vom Steinhügel kam.
Das war vor 11 Jahren!
Damals glaubten wir noch, durch unsere Protestaktionen mit den Jahalin-Beduinen, durch öffentliches Bewusstmachen ihrer Probleme, ihre Vertreibung aus ihren Gebieten verhindern zu können.
Vor 10 Jahren wurden sie dann an diesen Ort gebracht, wo sie die israelische Militäradministration habe wollte, einem Hügel östlich von Al Azariah.
Sie Haben sich lange geweigert, dort ihre Hütten und Zelte aufzuschlagen, gehört dieser Hügel doch palästinensischen Eigentümern aus Al Azariah und Abu-Dis.
Grund ihrer Vertreibung war die Vergrößerung von Ma’ale-Adumim, einer der größten israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten. Übrigens geht das Bauen dort weiter, dadurch auch die andauernden Bodenenteignungen.
Auch auf dem Hügel wurde gebaut; zuerst nur provisorische Behausungen aus Wellblech und anderen zusammen gesuchten auffindbaren Materialien. Nach jahrelangem Warten und juristischen Verhandlungen entstehen dann die ersten Häuser, doch immer noch haben die wenigsten Familien finanzielle Mittel zur Verfügung , feste Häuser zu bauen, sind doch ihre Einkommensquellen der Viehzucht auf diesen steinigen Felsen nahezu versiegt, und ist die Möglichkeit der Arbeitssuche für die Jahalin-Männer mehr als begrenzt, im wahrsten Sinne des Wortes, schauen wir auf die Mauern und Checkpoints rund um Al Azariah.
Eine der ersten festen Räume auf dem Hügel waren Schulklassen für die Jahalin Kinder. Fast jährlich wurde eine Schulklasse hinzugefügt, inzwischen sind es sieben flache Schulklassen-Häuser. Im letzten Jahr wurde auch ein Sportplatz gebaut, direkt neben dem Schulgelände, der von den Kindern und Jugendlichen in ihrer Freizeit genutzt wird. Zwischen den Schulklassen und rings um den Schulhof stehen junge Bäume, die in diesem Frühling gemeinsam mit den Jahalin-Kindern und vielen freiwilligen Helfern gepflanzt wurden. Trotz des kargen Bodens wachsen sie gut, dank guter Pflege und eifrigem Begießens und werden den Kindern bald erlauben, in ihrem Schatten zu sitzen.

Ich bin froh, dass ich all’ diese Veränderungen miterleben darf und dass ich die Freiheit hatte, meine frühere Aussage in Frage stellen zu können. Wäre ich bei meinem „nie mehr“ geblieben, wäre mir so vieles entgangen an schönen Erlebnissen, bereichernder Zusammenarbeit mit Beduinenfrauen, palästinensischen, israelischen und internationalen Freiwilligen, an menschlichen Beziehungen, die das Leben so reich, spannend und interessant machen.

So Vieles kam in Bewegung auf dem Hügel in den letzten Jahren.
So konnte ein kleines Frauenzentrum in Form eines mobilen Caravans errichtet werden. Auf Initiative von Annelise Butterweck und Kölner Friedensaktivistinnen konnte dieses möglich gemacht werden.
Hier finden verschiedene Aktivitäten statt; Alphabetisierungs-, Koch- und Ernährungs-,
Näh-, Stickerei-, und Strickkurse für die Frauen. Nach Schulschluss kommen Kinder zum Spielen, Basteln, Malen, Nachhilfeunterricht in Englisch werden von internationalen Mitarbeitern des „Ökumenischen Begleitdienstes in Palästina und Israel“ (EAPPI) angeboten. Jahalin-Studentinnen haben gemeinsam mit jungen Jahalin-Müttern das Sommercamp vorbereitet, wöchentliche Englisch-Nachhilfe wurde von deutschen Zivildienstpflichtigen mit Jahalin-Jungs angeboten.

Im Jahalin-Sommercamp hatte auch ich eine Aufgabe übernommen: Spiele jedweder Art mit den Mädchen und Jungs. Das machte ich sehr gerne, auch wenn es anstrengend war, einer Gruppe quicklebendiger Jungen und Mädchen Spielregeln beizubringen und darauf zu achten, dass sie auch eingehalten werden.
Nach langen heißen Vormittagen kam ich dann meistens völlig erschöpft nach Hause, doch froh am nächsten Morgen wieder zu der munteren Schar zurückzukehren.
Eine andere Aufgabe von mir ist seit Monaten die Arbeit mit Jahalin-Frauen im Rahmen eines UNRWA- Programms. Flüchtlingsfamilien, die kein anderes Einkommen haben, bekommen von der UN-Flüchtlingsorganisation die Möglichkeit eines kleinen Einkommens. Dafür stellen sie einen Monat lang ihre Arbeitskraft zur Verfügung, einem Dienst der der Gemeinschaft zugute kommen soll.
Ich hatte mit den Frauen in diesem Hilfsprogramm aus Altmaterialien Gesellschaftsspiele jedweder Art hergestellt. Diese wollten wir für die Spiele- Workshops im Sommercamp benutzen. Für die meisten Frauen war es ein Abenteuer mit Lineal, Scheren; Farbstiften, Klebstoff und Pinzette zu arbeiten. Da gab es viel zu lachen und manchmal auch ein Grund stolz zu sein, wenn etwas gut gelungen ist. Zurzeit setzt sich diese Tätigkeit für mich fort, jeden Monat mit einer neuen Frauengruppe.

All’ diese Aktivitäten auf dem Hügel sind natürlich nur möglich und machbar, weil genügend Freiwillige sich einsetzen und bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Junge Beduininnen, die an der Universität in Abu-Dis studieren, auch verheiratete Frauen nehmen sich die Zeit, an einem oder anderen Workshop mitzumachen oder die Leitung zu übernehmen. Es ist schon zu sehen und so bedeutend, wie sie darüber nachdenken und diskutieren, was in ihrer Gesellschaft gebraucht wird und wie es möglich gemacht werden kann, was insbesondere die Verbesserung der Situation der Jahalin Kinder, ihrer eigenen oder Ihrer Geschwister verlangt.
Internationale Freiwillige, die kürzere oder längere Zeit im Land sind und vom Jahalin-Projekt hörten, ringen sich nach ihren Möglichkeiten ein.
Die Motive dieser – vor allem jungen Menschen – mögen sehr unterschiedlich sein: Abenteuerlust, Neugier, der Wunsch nach Sinn bringender Tätigkeit, Andere, weil sie ihren Beitrag leisten möchten zu einer friedlichen Koexistenz der beiden Völker. Utopien? Träume? Unrealistisches Gerede? Hüten wir uns davor, sie auf den „so genannten Boden der Realität“ zurückführen zu wollen. Wir brauchen sie, heute vielleicht mehr denn je, diese Menschen, die noch immer daran glauben, dass die Welt gerechter, friedlicher und schöner werden kann. Doch nur, wenn jede und jeder von uns versucht, einen Beitrag zu leisten. Vielleicht besteht er darin, ein kleines Bäumchen am Rande der Wüste zu pflanzen, mit Jugendlichen Fußball zu spielen oder einfach nur Anteil zu nehmen an den Freuden und Sorgen der Mitmenschen.
Was auch immer die Beweggründe sein mögen, wir alle zusammen auf dem Hügel bringen einen Hauch von Buntheit, Vielfalt und Internationalität. Durch unser aller Verschiedenheit ist aus dem kleinen Frauenzentrum auf dem Hügel ein Ort der internationalen, interkulturellen und interreligiösen Begegnung geworden.
Wenn ich nun schon über den Hügel und seinen Caravan schreibe, so möchte ich doch noch zwei weitere Menschen vorstellen.
Das ist Anna, eine Kölnerin, die vor einigen Jahren durch die „Rabbiner für Menschenrechte“ auf den Hügel kam. Inzwischen arbeitet sie seit drei Jahren als Zivile Friedensarbeiterin im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes, organisiert von den deutschen NGO’s „Bund für Soziale Verteidigung“ (BSV) und Forum Ziviler Friedensdienst. (forumZFD)
Sie ist die Koordinatorin des Jahalin-Projekts. Ohne sie, die mit viel Geduld und Entschlossenheit andere zum Mitmachen anspornen konnte, wäre der Caravan nicht das geworden, was er heute ist: ein Ort der Kreativität, eine Fundgrube unzähliger Möglichkeiten.
Weil dieses Zentrum inzwischen für Viele viel bedeutet, werden Aktivitäten nach dem Weggang Annas zum Ende des Jahres irgendwie, wenn auch anders weitergehen.
Nitza, die Kollegin im Projekt bietet den Kindern seit Jahren wöchentliche Kurse in Malen und Gestalten an.
Diese, von allen gern gesehene Frau, unterrichtet auch seit drei Jahren schon eine Gruppe junger Jahalin-Männer in Hebräisch, ebenso gibt sie Hebräisch-Unterricht seit einigen Monaten für die Lehrerinnen, sowie zwei Schulklassen der Anwar-Schule in Al-Azariah.
Mit ihrem Auto ist sie jeder Zeit, auch nachts, bereit Kranke oder Gebärende ins Spital zu bringen.

Relativ leicht fällt es mir, aufzuzählen, was sichtbar ist an alledem, was ich versuchte, zu beschreiben, obwohl ich manches nicht erwähnt habe. Von dem zu berichten, was nicht sichtbar oder messbar, aber nicht weniger wichtig ist, dünkt mich schwerer. Damit meine ich die menschlichen Beziehungen, die Freundschaften, die entstanden sind in den letzten Jahren zwischen Menschen verschiedener Herkunft und Religionszugehörigkeit, Abbau von Vorurteilen und Feindbildern.

Trotz dem Leid, das den Beduinen zugefügt wurde durch die ungerechten Bestimmungen der israelischen Regierung, sind Menschen aus Israel willkommen, so wie andere auch.
Wo Gelegenheit besteht, sich gegenseitig kennen zu lernen, muss es zur Anerkennung der Rechte des Anderen führen.

Marylene Schultz,
Al-Azariah

Aktuelles - Zum Archiv