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12. Oktober 2006

Besuch in einer kleinen Oase

Letzte Woche besuchte uns Christa Seidenstücker, Sie arbeitet als Praktikantin im Regionalbüro des Zivilen Friedensdienstes. Sie hat während ihres zweimonatigen Aufenthaltes ihre Eindrücke auch wöchentlich auf der website des Forum Ziviler Friedendsdienst veröffentlicht. Hier nun ihre Eindrücke vom Besuch bei den Jahalin-Beduinen.

Anna Crummenerl

Staub – das war mein erster Eindruck, als wir in Assariah aus dem Bus stiegen. Alles war von einem feinen, kalkigen Staub überzogen, der sich sofort zwischen die Zehen setzte und der einem von jedem vorbeifahrenden Auto ins Gesicht geschleudert wurde. Einen Bürgersteig gab es nicht, also mussten wir uns den Weg durch den Staub und den Müll am Straßenrand bahnen, dabei immer ein Auge auf die mit Höchstgeschwindigkeit vorbei bretternden Autos. Als ich gerade über eine abgerissene Klobrille steige, fährt ein Auto vorbei, dessen offene Tür im Fahrtwind hin und her weht. Von einem kleinen, brennenden Müllberg steigt eine beißend stinkende Rauchwolke auf. Auf dem Hügel sehe ich jetzt die Container und Baracken, in denen die Jahalin-Beduinen wohnen. Dazwischen ein paar neu gebaute Häuser. Hinter bunter Wäsche, die auf der Leine hängt, taucht das freundliche Gesicht einer Frau auf, die uns einen guten Morgen wünscht. Wir gehen zwischen den Häusern entlang, neben denen ein Esel in der Sonne döst, hin zum Caravan. An ihm bleibt sofort der Blick hängen: ein Farbklecks in der staubigbraunen Umgebung. Ein paar kleine Bäume werfen ihren Schatten. Das Ganze sieht aus, wie eine kleine Oase. In der Oase scheinen bunte Steine zu wachsen, mit denen der Boden übersät ist. Die knallbunte Tür lädt zum Eintreten ein. So stehen auch schon drei Frauen wartend vor dem Zaun. Es soll für das Fasten brechen am Abend gebacken werden – es ist Ramadan. Leider ist die palästinensische Frau, die den Kurs leiten soll krank geworden. Also muss improvisiert werden. Aber schnell ist alles arrangiert und die fehlenden Zutaten werden besorgt. Die wartenden Frauen unterhalten sich eifrig, während mir mein leerer Magen schon langsam zu schaffen macht. So bin ich auch ganz froh, dass ich nicht beim Teigmengen zugucken muss, sondern mich mit einem Bilderbuch unter einen der Bäume setzen darf, um mit den Kindern eine Geschichte zu lesen. Doch bald merke ich: Vorlesen ist nicht drin. Die Kinder, die wegen der Lehrerstreiks schon seit vier Monaten keine Schule gehabt haben, sind wie kleine, hochexplosive Vulkane; Fünf brüllen die ganze Zeit irgendwas auf arabisch, bevor sie von Kicherattacken geschüttelt werden. Ein paar andere Kinder sitzen still auf ihren Stühlen und mustern mich abwartend mit ihren braunen Augen, während wieder andere sich auf dem Boden balgen. Schließlich lasse ich die Kinder selber vorlesen. Es wird ruhiger, weil alle so schnell wie möglich mit Lesen drankommen wollen. Mit den Kindern, die kein Englisch können, mogle ich etwas und sage ihnen Wort für Wort den Satz vor. Ich habe das Gefühl, diesen Kindern macht das „Lesen“ am meisten Spaß – der Inhalt der Geschichte bleibt dabei leider auf der Strecke. Inzwischen ist der Teig fertig und wird zum Backen zu einer der Frauen gebracht, da der Backofen des Zentrums streikt. Also setzen wir uns etwas mit den Frauen zusammen und reden. Eine der Frauen spricht Englisch und hat gerade ihr Religionswissenschaftsstudium abgeschlossen. Sie übersetzt hin und her. Wir sprechen über den Ramadan. Alle Frauen sind gläubige Musliminnen und tragen Kopftuch und bodenlange Mäntel. Es ist sehr interessant, wie sich die Frauen mit dem Fasten auseinander setzen. Eine hat sich sogar im Internet informiert, über mögliche Gesundheitsrisiken. Gegen Kreislaufprobleme, die man wegen des Flüssigkeitsmangels kriegen kann, helfe das Niederwerfen beim muslimischen Gebet. Als der Kuchen fertig ist, nimmt jede Frau ihr Stück und verpackt es für das abendliche Fasten brechen. Mir wird bei dem Duft ganz schwindelig und ich denke kurz darüber nach, mal den Trick mit dem Sich- Nieder werfen auszuprobieren. Eine der Frauen streift sich Handschuhe über und bindet sich ein Gesichtstuch um, so dass nur noch ihre Augen sichtbar bleiben. Ihr breites Lächeln verschwindet. Es kehrt etwas Ruhe ein, im Caravan. Nitza, die Hebräischlehrerin, kommt nach dem Unterricht für eine Weile vorbei und unterhält sich mit den wenigen, die noch da sind. Der steigende Geräuschpegel lässt erkennen, dass der nächste Tagesordnungspunkt näher rückt: Englischunterricht mit den Mädchen. Die Jungs müssen mit sanfter Gewalt rausgescheucht werden, und der Caravan wird zum Klassenraum. Draußen tollen die Jungs herum und wollen fotografiert werden. Kurz darauf spielen sie „Ziegen und Hirte“ und müssen davon abgehalten werden, die Grünpflanzen des Gartens abzuweiden. Dann ist der Unterricht vorbei und die Mädchen gehen nach Hause. Die bunte Tür wird verschlossen und wir treten aus der kleinen Oase hinaus in die staubige Wirklichkeit des Beduinencamps. Ich bin voller Eindrücke, als wir uns unseren Weg zurück durch Staub und Müll bahnen, zurück nach Jerusalem, so dass ich meinen leeren Magen ganz vergessen habe. Meine Gedanken kehren immer wieder zurück, an den Ort, an dem bunte Steine wachsen...

Christa Seidenstücker

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